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Auflage:55.000+

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Sezession und Annexion

Freundschaftliche Verbindung oder feindliche Übernahme?

Überlegungen zu einem aktuellen Problem im Spannungsverhältnis Staat und/oder Volk.

Freiheit, Unabhängigkeit, Selbstbestimmung und das Recht der eigenen Wahl, einer Gruppe angehören zu wollen oder eben auch nicht, sind elementare Wünsche und Empfindungen, die das Zusammenleben von Menschen bestimmen oder bestimmen sollten.

In einer aufgeklärten und zivilisierten Welt wäre dies selbstverständlich.

Wie aber steht es mit eben diesem Selbstbestimmungsrecht auf der nächst größeren Ebene: der einer Region, eines Volkes oder Staates?

Im Versuch, diese grundlegende Freiheit für Staaten oder Völker zu regulieren, bemüht man Definitionen wie Sezession, Separation oder Annexion.

Hier nun beanspruchen Historiker, Philosophen, Politiker, Journalisten und nicht zuletzt Juristen mit mehr oder auch weniger Sachverstand die Deutungshoheit darüber, was richtig oder falsch, gerecht oder ungerecht und vor allem zulässig oder unzulässig sein soll.

Dies nennt sich dann eine völkerrechtliche Betrachtungsweise.

Menschen in Lebensgemeinschaften, meist persönlich und wirtschaftlich verbunden, vollziehen im Falle eines Wunsches nach Trennung von dem Partner eben eine Trennung.

Völker oder Bevölkerungsteile, ebenfalls meist persönlich und wirtschaftlich verbunden, vollziehen im Falle eines Wunsches nach Trennung von dem Partner, kraft dieser Definitionen eine Sezession oder Separation.  Und damit beginnt das Dilemma.

Eine Sezession versteht sich dabei als Loslösung aus einer solchen Lebensgemeinschaft.

Eine Separation bedeutet in diesem Kontext eine gleichzeitige Gebietsabtrennung, eine „Abspaltung“ also eher vergleichbar einem Auszug aus der gemeinschaftlichen Wohnung.

Und fast wie im richtigen Leben ist Anlass oder Folge einer solchen „Sezession“ oder „Separation“ das Eingehen einer neuen Lebensgemeinschaft, vielfach auf persönlicher und räumlicher Ebene (Zuneigung oder Liebe und gemeinsames Wohnen).

Wiederum auf der Ebene von Völkern oder Bevölkerungsteilen wird diese Folge einer Trennung und Neuorientierung meist als Annexion bezeichnet, zumindest dort, wo das Ergebnis unerwünscht scheint. Völkerrechtlich qualifiziert man dies als eine einseitige erzwungene Eingliederung in den Herrschaftsbereich „des neuen Partners“.

Ein positiver Fachbegriff dieses Vorgangs existiert dabei nicht; man behilft sich dann hier mit Bezeichnungen wie „Beitritt“ oder „Vereinigung“. So benannt sind erwünschte Ergebnisse.

Was erwünscht oder unerwünscht ist, richtet sich nach dem Betrachter.

Konsequent fordern auch einige Völkerrechtler eine solche Trennung und Vereinigung mit einem neuen Partner nur rechtlich zuzulassen, wenn der „alte Partner“ und der „neue Partner“ sich auf einen solchen Partnerwechsel einigen (Zessionstheorie).

Dabei handelt es sich in der Tat um eine bloße Theorie.

Einige wenige Beispiele sollten dabei Anlass sein, sich etwas näher mit den Begriffen zu befassen, um die mögliche Manipulation dabei aufzuzeigen.

Spanien/Katalonien:

Die Bevölkerung (Teilbevölkerung) einer Region (Katalonien) beabsichtigt, sich nach Durchführung eines Referendums vom Gesamtstaat (Spanien) loszulösen (Sezession). Je nach der Frage, ob auch eine Abtrennung des Gebietes gewollt ist, handelt es sich auch um eine Separation.

Die Folge war und ist eine strafrechtliche Verfolgung der sog. „Separatisten“ durch den Staat (Spanien) auf Grundlage spanischen Rechts; Katalonien wurde völkerrechtlich als Staat nicht anerkannt.

Eine objektive völkerrechtliche Beurteilung findet kaum statt.

China / Taiwan :

Die Bevölkerung (Teilbevölkerung) einer Region (Insel Taiwan) beabsichtigt, sich vom Gesamtstaat (Volksrepublik China) loszulösen (Sezession). In diesem Falle wegen der auch geforderten Abtrennung des Gebietes liegt eine Separation vor (Ein-Staatenpolitik China).

Die Folge war und ist eine Bewaffnung der „Region“ durch Drittstaaten. Taiwan wurde völkerrechtlich als Staat nicht anerkannt.

Eine objektive völkerrechtliche Beurteilung findet kaum statt.

Ukraine/ Donbass (Region):

Die Bevölkerung (Teilbevölkerung) einer Region (Donbass) beabsichtigt, sich nach Durchführung eines Referendums vom Gesamtstaat (Ukraine) loszulösen (Sezession). In diesem Falle wegen der auch geforderten Abtrennung des Gebietes liegt eine Separation vor.

In der Folge erging ein Beitrittsersuchen der Region an die Russische Föderation, welchem entsprochen wurde. Eine (gewaltsame) Annexion läge vor, wenn die Russische Föderation (i.d.R. nach vorheriger Okkupation/Besatzung) einen Gebietserwerb gewaltsam auf Kosten des anderen Staates (Ukraine) vollzogen hätte.

Eine objektive völkerrechtliche Beurteilung findet kaum statt.

Serbien/ Kosovo:

Die Bevölkerung (Teilbevölkerung) einer Region (Kosovo) beabsichtigte, sich nach einer Proklamation vom Gesamtstaat (Bundesrepublik Jugoslawien) loszulösen (Sezession). Wegen der auch geforderten Abtrennung des Gebietes liegt hier eine Separation vor.

Die Folge war ein Luftkrieg der Nato gegen den Gesamtstaat (Bundesrepublik Jugoslawien); die Region wurde unter UN-Verwaltung gestellt; der Kosovo wurde zunächst völkerrechtlich als Staat nicht anerkannt (1999); 2008 folgte die Unabhängigkeitserklärung, seitdem ist der Kosovo von der Mehrheit der UN-Mitgliedsstaaten völkerrechtlich anerkannt.

Eine objektive völkerrechtliche Beurteilung findet kaum statt.

Diese und andere Vorgänge erfordern folgende Fragestellung: Welche völker- und  verfassungsrechtlichen Gegebenheiten sind von Bedeutung um von Sezession, Separation und/oder Annexion sprechen zu können.

Grundsätzlich ist dabei zwischen dem Interesse des Gesamtstaates (Altstaates/Rumpfstaates) und dem Interesse der Region beziehungsweise deren Teilbevölkerung abzuwägen. Geht es doch einerseits um eine Verkleinerung andererseits um  völkerrechtlich anerkannte Selbstbestimmung.

Da in der Regel Spannungen ethnischer, kultureller, religiöser oder auch sprachlicher Natur mit Menschenrechtsverletzungen einhergehen können, überwiegt das Sezessionsinteresse der trennungswilligen Region das Interesse des Gesamtstaates deutlich.

Somit ergeben sich zwei Fragen:  Welche historischen Abläufe und Geschehnisse haben das Interesse der Region oder Bevölkerungsgruppe an einer Sezession oder Separation ausgelöst? Ist die Sezession oder Separation völkerrechtmäßig oder nicht?

Ergebnis:

Um die Ursachen für Sezessionsbestrebungen und ggf. Separationen und Beitritte oder Annexionen einzelner Regionen aus Gesamtstaaten heraus zu eigenständigen Staaten oder zu Teilen anderer Staaten völkerrechtlich zutreffend beurteilen zu können, sind also mindestens zwei Sachverhalte zu klären:

  • Gab oder gibt es menschenrechtlich oder völkerrechtlich relevante Rechtsverletzungen, welche das Selbstbestimmungsrecht einer Bevölkerungsgruppe oder Region, sich zu trennen, wichtiger erscheinen lassen als das Bestandserhaltungsinteresse des Gesamtstaates? (sog. remedial recession/ Notwehrabspaltung)?

Maßstab müssen dabei die anerkannten Regeln des Völkerrechtes, der Menschenrechte und des humanitären Völkerrechtes sein.

  • Gab oder gibt es eine sachlich belegbare Erfassung des Sezessionswillen/Separationswillen der betreffenden Bevölkerungsgruppe oder Region (freies Referendum)?

Maßstab müssen dabei die anerkannten Regeln der demokratischen Willensbildung und Willensentscheidung sein.

Die unvoreingenommene Beantwortung dieser Fragen ist Grundvoraussetzung für jede tatsächliche, rechtliche, politische oder mediale Beurteilung einer Bestrebung nach Selbstbestimmung und/oder Unabhängigkeit.

Alles andere ist rein politisch-ideologisch motivierte Parteinahme.

Dies gilt für die Region Katalonien/Spanien ebenso wie für den Themenkomplex Donbass oder Krim/Ukraine, Taiwan/Volksrepublik China sowie Serbien und Kosovo, um exemplarisch bei obigen Beispielen zu bleiben.

Solange also der tatsächliche historische Kontext durch Politik und Medien vernachlässigt oder gar unterdrückt wird, ist nicht die Information der Menschen, sondern deren Manipulation Ziel und Zweck der Darstellung.

Und vielleicht liegt gerade darin die besorgniserregende Erkenntnis, dass immerwährende Konflikte und Kriege letztlich die Folge dieser Geschichtsunterdrückung und Ursachenverfälschung durch herrschende Klassen und deren mediale Lautsprecher sind.

Gastautor: Stefan Kohwagner

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